Serveranlagen eines Datencenters
„Welche Strafe soll auf Datenmord stehen“ (Bild: sdecoret - stock.adobe.com)

Ratgeber Notebook & Computer „Welche Strafe soll auf Datenmord stehen“

Wichtiger als das Recht auf Vergessen ist das Recht, in Erinnerung zu bleiben – sagt der Big-Data-Experte Andreas Weigend. Der ehemalige Chefwissenschaftler von Amazon fordert in seinem Buch „Data for the People“, dass Kunden und Bürger die Macht über ihre Daten zurückerobern. Ein Gespräch über den Wert von Daten und die Angst vor dem totalitären Staat.

Herr Weigend, auf Ihrer Internetseite kann man nachschauen, wann Sie in den letzten Tagen wohin geflogen sind, wie der Flugplan der nächsten Monate aussieht und dass Sie heute nach Malaysia geflogen sind.

Selbst die Platznummer steht da. Sie können sehen, dass ich gerade einen wunderbaren Gangplatz hatte, einen sehr schönen Platz.

Diese Offenheit ist selbst in einer Welt mit Social Media selten. Warum machen Sie das? Ist das Transparenz oder Spielerei?

Beides! Ich berate in der ganzen Welt, habe einen weit verbreiteten Freundeskreis – die Leute müssen doch einfach rausfinden können, wo ich gerade bin. Das mache ich übrigens schon seit vielen Jahren. Als ich 1994 das erste Mal in China war, da musste ich eine Stunde mit dem Fahrrad durch das winterliche Peking fahren, bevor ich einen Computer fand, der mit dem Internet verbunden war – damit ich meine Geodaten einstellen konnte.

In Ihrem Buch „Data for the People“ verlangen Sie, dass Bürger von Unternehmen wie Google Rechte einfordern. Vertrauen Sie Google nicht?

Ich habe Google vertraut – mehr als ich mir selbst vertraut habe. Und das habe ich bereut: Ich habe keine Back-ups meines YouTube-Kanals gemacht. Im April war dieser Kanal plötzlich verschwunden, mit den Vorlesungen der letzten zehn Jahre, alles weg.

Wo kam dieses Vertrauen her?

Ich kenne die Leute, die Google gegründet haben und habe viele Freunde da. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Google das immer genauso gemacht, wie ich mir das vorgestellt hatte, es gibt beliebig viele Beispiele. Datenraffinerien wie Google helfen mir bei Entscheidungen, jeden Tag. Aber die Unternehmen müssen uns Werkzeuge zur Verfügung stellen, damit wir unsere Daten für uns nutzen können.

Sie haben Amazons Datenstrategie mitentwickelt. Was sind unsere Daten konkret wert – etwa für Unternehmen?

Der Wert der Daten ist der Einfluss, den sie auf Entscheidungen haben. Wir müssen also verstehen, wie Daten unsere Entscheidungen beeinflussen. Warten Sie mal bitte, ja?

Weigend spaziert während des Telefonats durch den Flughafen von Kuala Lumpur. Er muss jetzt etwas klären, wird gleich in die USA weiterfliegen und bittet, das Gespräch später fortzusetzen, nach dem Check-in, morgen aus New York, oder – lassen wir es besser offen. „Ich melde mich in den nächsten 48 Stunden bei Ihnen“, sagt er dann. „Sehen Sie, das ist doch das tolle an den Daten: Sie können auf der Website nachschauen und wissen, wann ich Sie nicht anrufen werde, wann ich Sie in Ruhe lassen werde – weil Sie sehen, wann ich in der Luft bin“, sagt Weigend, und lacht.

Ein paar Versuche später, einige Wochen später, klappt die Fortsetzung.

Wissen Sie, wie viele Daten es über Sie gibt?

Die Frage nach der Menge ist hier wenig sinnvoll, denn das Datenvolumen sagt nichts über die Qualität der Daten. Auf meiner Website sind meine Flugbewegungen von mehr als zehn Jahren aufgeführt, wenige Buchstaben – aber extrem kondensierte Daten. Die Frage ist: Wie messen wir Daten?

Im Hintergrund ertönt die englische Stimme von Microsofts Sprachassistent Cortana. „Jetzt hört doch alles auf, jetzt hab ich irgendwas gesagt und das Ding spricht uns hier dazwischen“, sagt Weigend. Bei Apples Siri habe er sich ja schon dran gewöhnt, bei Amazons Alexa auch, aber Cortana habe er keine Erlaubnis gegeben.

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Illsutration einer transparenten Ebene mit Binärcode darauf mit einem Mann im Hintergrund, der darauf zeigt
„Welche Strafe soll auf Datenmord stehen?“ (Bild: Nicolas Herrbach - stock.adobe.com)

Der Kontostand, die Anzahl von Autos auf der Straße, der Wert eines Hauses – die meisten Dinge im Leben, die Dinge sind, lassen sich recht klar in verständlichen Einheiten bemessen. Warum nicht auch Daten?

Bei Daten ist es eben nicht so einfach. Sie können die Zahl von Bits und Bytes benennen, ja. Aber nehmen Sie das Beispiel der Bilder. Hier könnte man sich ja auf die Anzahl als gut zu messende Größenordnung einigen. Das sagt aber nichts über die Qualität und den Wert der Bilder für mich. Wenn es aus den ersten dreißig Jahren meines Lebens tausend Bilder gibt, dann sind die mir ja wichtiger, mehr wert, als dreißig Sekunden eines YouTube-Clips, die auf eine ähnliche Bilderzahl kommen.

Wie kann man seine Daten schützen?

Sie können Ihre Mails verschlüsseln, ein paar andere Dinge beachten. Aber es ist unmöglich, keine Daten zu erzeugen. Wir sollten Regeln für die Realität der Gegenwart und die Möglichkeiten der Zukunft entwickeln. Hier in Taiwan ist einem Bekannten kürzlich der Hund weggelaufen, der liebe Waldi. Und weil Taipeh so dicht mit Videokameras ausgestattet ist und das alles aufgezeichnet wird, hat man Waldi tatsächlich auf diesem Weg wiedergefunden.

Das ist schön für Waldi und den Besitzer. Machen Ihnen diese Möglichkeiten der Überwachung nicht auch manchmal Angst? Etwa, wenn man auf China schaut, die Idee, seine Bürger in jedem Lebensbereich einem Punktesystem einzuordnen?

Bitte, nicht das C‑Wort erwähnen, ich bin gerade in Taiwan (das in China als abtrünnige Provinz angesehen wird, Anm. d. Red.), sonst wird das wieder abgehört, ich gebe mich da keiner Illusion hin. Die Realität ist, dass es vor der Datenerfassung kein Entkommen gibt, zumindest in einer besiedelten Gegend oder wenn Sie ein Handy dabeihaben, selbst wenn Sie keinen Empfang haben.

Sind auch die Daten von Kindern für Konzerne interessant?

Das sind sie, ja. Eine meiner Forderungen ist es, in der Schule das Fach Datenkunde einzurichten. Wir müssen den Nutzern sagen, was sie tun können, auch den jungen. Eine Frage: Gibt es in Deutschland eigentlich ein Digitalministerium?

Um die digitale Infrastruktur kümmert sich das Verkehrsministerium.

Interessant. In Taiwan gibt es eine Ministerin für Digitales, mit der war ich Hot Pot essen. Die nimmt, wie ich, auch alles auf. Wir haben also beide unsere Mikrofone angestellt. Und als bei ihr die Batterien aus waren, habe ich gesagt, kein Problem, ich schicke Ihnen meine Aufzeichnung. (lacht)

Den ersten Teil des Interviews hat Weigend – wie der Autor – aufgezeichnet. Beim zweiten Teil lässt er seinen Rekorder nicht mitlaufen, weil er sonst das Headset nicht nutzen kann. „Ich hoffe, Ihre Batterien sind voll“, sagt Weigend.

Haben Sie keine Angst, dass Daten irgendwann gegen Sie verwendet werden könnten?

Ich habe keine Angst, dass Unternehmen meine Daten bewusst gegen mich verwenden. Google hat die meiste Macht über mich. Google könnte mich aus dem Index entfernen. Wenn Sie dann Andreas Weigend eingeben würden, dann käme da nichts mehr.

Google könnte dem digitalen Bürger Andreas Weigend die Bürgerrechte entziehen.

Sagen Sie es drastischer: Das Leben wäre vernichtet. Hier geschehe die Vernichtung nicht über das Preisgeben von Daten, etwa durch kompromittierende Fotos von Politikern, nein, sondern über das Nichtpreisgeben von Daten. Deswegen fordere ich ein „right to be remembered“ – es sollte auch das Recht geben, in Erinnerung zu bleiben. In Europa fordert man noch das Recht auf Vergessen, das ist eine Schlacht des letzten Jahrhunderts.

Das Löschen Ihrer YouTube-Videos, was war das für Sie?

Das war ein Datenunfall mit Todesfolge. Wir müssen uns solchen Fragen stellen: Welche Strafe soll auf Datenmord oder auf Datentotschlag stehen – das sind Fragen der Zukunft.

Sie waren Chefentwickler bei Amazon und beraten heute weltweit Unternehmen zu Big Data, rund um das Sammeln und Analysieren von Daten. Wer macht denn den meisten Gewinn mit Daten?

Ich verrate Ihnen jetzt mal, wer am meisten von meinen Daten profitiert: ich selbst.

Aber Unternehmen wie Google machen Gewinne mit Ihren Daten.

Warten Sie mal, ich hab ja das Internet an, ich suche mal schnell.

Andreas Weigend tippt, tippt weiter und sagt nach ein paar Sekunden: „Aha!“

Google hat 2016 rund neunzig Milliarden Dollar eingenommen, hat eine Milliarde Nutzer – sie nehmen also neunzig Dollar pro Jahr pro Nutzer ein. Ich habe das jetzt das erste Mal nachgeschaut.

Microsofts Sprachassistent Cortana schaltet sich erneut ein – bei was er Weigend in Taipeh gerade helfen soll, ist über die Facetime-Verbindung nicht zu verstehen. „What the fuck!“, ruft Weigend. Er telefoniere hier mit seinem iPhone, der Laptop stehe hier und mische sich in das Gespräch ein, ohne Einladung, das gehe zu weit, sagt Weigend und lacht.

Es gibt offensichtlich noch einiges zu besprechen rund um die Datensicherheit. Noch einmal zurück zu Google: Neunzig Dollar pro Nutzer und Jahr – ist das angemessen für die Dienste, die wir nutzen?

Wie viel zahlt man einer Putzkraft für einen Tag Arbeit, das sind doch wahrscheinlich etwa neunzig Dollar. Ist das viel für das, was Google für die Nutzer macht? Lassen Sie das für Ihre Leser ruhig mal so offen stehen. Dass wir Grundrechte für Daten brauchen, das ist eine andere Sache.

Grundrechte für Daten:

In seinem aktuellen Buch „Data for the People“ hat er sechs Grundrechte für Daten formuliert, die die Menschen als Bürger und Kunden einforderten müssten.

  1. Das Recht auf Dateneinsicht
  2. Das Recht auf Einsicht in den Umgang der Unternehmen mit den Daten
  3. Das Recht auf Datenergänzung
  4. Das Recht, unsere Daten unkenntlich zu machen
  5. Das Recht, mit Daten und Raffinerien zu experimentieren
  6. Das Recht auf Datenmitnahme